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Frauenlager - Die Häftlinge
Im Winter 1938/39 errichteten etwa 500 männliche Häftlinge des KZ Sachsenhausen die ersten Gebäude des KZ Ravensbrück. In Betrieb genommen wurde das Lager mit der Verlegung der knapp 1 000 weiblichen Häftlinge aus der seit Dezember 1937 als zentrales Frauen-KZ dienenden Schlossfestung Lichtenburg ab dem 15. Mai 1939. Den fragmentarisch erhaltenen Zugangslisten, die den Zeitraum von Mai 1939 bis Ende Januar 1945 abdecken, ist die Entwicklung der Zahlen der nach Ravensbrück eingelieferten weiblichen Häftlinge zu entnehmen: 1939 - etwas über 1 100, 1940 - etwas über 2 700, 1941 - ca. 3 600, 1942 - ca. 7 000, 1943 - ca. 10 000, 1944 - etwas über 70 000 und 1945 - etwa 35 000.


Häftlinge des KZ Ravensbrück in der Schneiderei des Lagers

Zu einem stetigen Anstieg der Häftlingszahlen führte vor allem die ab Mitte 1942 verstärkte Einweisung von Fremdarbeiterinnen ins KZ (hauptsächlich Russinnen und Ukrainerinnen sowie Polinnen und Französinnen), die „freiwillig“ oder zwangsweise zur Arbeit nach Deutschland gebracht und dort wegen unterschiedlicher „Delikte“ (Flucht, unbotmäßiges Verhalten oder andere „Vergehen“) verhaftet worden waren, sowie die ab 1943 umfangreicher werdenden Deportationen von weiblichen Gefangenen aus den Gefängnissen und Lagern in den besetzten europäischen Ländern. Die zunehmenden Einlieferungen standen in direktem Zusammenhang mit den forcierten Bestrebungen der SS, arbeitsfähige Häftlinge durch vereinfachte Schutzhaftverfahren in die Konzentrationslager für den Einsatz in der Rüstungsproduktion einzuweisen. Die Zahl der Häftlinge in Ravensbrück erhöhte sich im Jahr 1944 drastisch: um 21 891 in der ersten und 48 688 in der zweiten Jahreshälfte. Ursache dafür waren vor allem die Deportation eines Teils der weiblichen Warschauer Bevölkerung nach dem gescheiterten Aufstand im Spätsommer 1944 (etwa 12 000), große Transporte mit Jüdinnen aus Ungarn und in geringerem Umfang aus der Slowakei ab November 1944 sowie umfangreiche Transporte aus anderen KZ, namentlich Majdanek, Vught und vor allem Auschwitz.

Bis in das Jahr 1942 hinein war die Mehrheit der weiblichen Häftlinge in Ravensbrück deutscher oder österreichischer Nationalität. Wie bereits ab Ende 1938 in der Lichtenburg bildeten auch in Ravensbrück die Bibelforscherinnen (Zeugen Jehovas) fast durchgehend bis Ende 1939 die größte Häftlingsgruppe. In der folgenden Zeit überwog die am stärksten zunehmende und äußerst heterogen zusammengesetzte Gruppe der Häftlinge, die im Lager den schwarzen Winkel der „Asozialen“ tragen mußten, unter ihnen viele Sinti und Roma. Erst im Spätsommer 1941 lösten die politischen Häftlinge die „Asozialen“ als zahlenmäßig stärkste Gruppe ab, was in erster Linie eine Folge der zunehmenden Einlieferung von Frauen aus den deutsch-besetzten Ländern war. Ab Herbst 1940 begannen polnische Häftlinge eine zahlenmäßig relevante Rolle zu spielen und erst ab 1942 wurde die Zusammensetzung der Häftlinge zunehmend internationaler. Da ausländische Häftlinge - die Österreicherinnen wurden als „Reichsdeutsche“ geführt - meist pauschal den roten Winkel der politischen Häftlinge zugewiesen bekamen, differenzierte sich die „Häftlingsgesellschaft“ ab Anfang April 1942 immer weniger in die von der SS vergebenen Kategorien, sondern zunehmend in verschiedene Nationalitäten. Eine vorläufige Auswertung eines Großteils der erhalten gebliebenen Zugangslisten (55 549 Einlieferungen umfassend) erlaubt es, ungefähre Angaben zur nationalen Zusammensetzung aller im Verlauf von sechs Jahren nach Ravensbrück verschleppten weiblichen Häftlinge zu machen. Etwa 36 % der weiblichen Gefangenen waren Polinnen, 21 % stammten aus dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion, 18 % aus Deutschland und Österreich, 8 % aus Ungarn, 6 % aus Frankreich, 3 % aus der ehemaligen Tschechoslowakei, jeweils über 2 % aus den Benelux-Staaten und dem ehemaligen Jugoslawien. Der Anteil der „rassisch“ verfolgten Frauen wurde dabei entsprechend ihrer nationalen Herkunft erfaßt. Deren Gesamtzahl und prozentualer Anteil schwankte sehr und war insgesamt mit Sicherheit höher als es die auf lückenhafter Quellenbasis ermittelten Zahlen (13 % Jüdinnen; 3 % Sinti und Roma) zum Ausdruck bringen. So verringerte sich die Anzahl der Jüdinnen in Ravensbrück erheblich durch die Ermordung von 700-800 jüdischen Häftlingen im Rahmen der Mordaktion „14 f 13“ im Frühjahr 1942 und durch einen weiteren Transport mit 522 Jüdinnen nach Auschwitz am 6. Oktober 1942 aufgrund des Himmler-Befehls, alle reichsdeutschen Lager „judenrein“ zu machen und die betreffenden Häftlinge nach Auschwitz oder Majdanek zu verlegen. Erst mit den Transporten aus Auschwitz und den umfangreichen Deportationen aus Ungarn sowie in geringerem Umfang aus der Slowakei kamen ab der zweiten Jahreshälfte 1944 wieder Jüdinnen in großen Zahlen nach Ravensbrück.Ein erster großer Transport mit Sinti und Roma - 440 Frauen und Mädchen - aus dem Burgenland erreichte Ravensbrück bereits am 26. Juni 1939. Es war der erste größere Transport ins Frauen-KZ Ravensbrück überhaupt. Im Vorfeld der „Liquidierung“ des „Zigeunerlagers“ in Auschwitz-Birkenau trafen 1944 zwei weitere größere Transporte ein, mit 695 weiblichen Häftlingen im April und Mai und 490 Anfang August.

In den bislang ausgewerteten Zugangslisten des Frauenlagers finden sich außerdem 881 Kinder im Alter von zwei bis 16 Jahren aus 18 Nationen verzeichnet. Die ersten minderjährigen Häftlinge im Alter ab 14 Jahren waren mit dem bereits genannten Transport mit 440 Sinti und Roma aus dem Burgenland nach Ravensbrück verschleppt worden. Darüber hinaus sind in dem erhalten gebliebenen Geburtenbuch für den Zeitraum vom 19. September 1944 bis 22. April 1945 527 Geburten verzeichnet. Weitere Eintragungen im Geburtenbuch geben Auskunft über das Schicksal der Neugeborenen: 28 Frauen erlitten eine Fehlgeburt, 20 Frauen eine Totgeburt; hinter über der Hälfte der Geburten (266) wurde wenige Tage oder Wochen später das Sterbedatum nachgetragen. Weitere 84 Mütter wurden mit ihren Säuglingen im Verlauf des März 1945 nach Bergen-Belsen überführt. Häftlingsberichten zufolge starben viele der Säuglinge bereits während des Transports. Auch von den nach Ravensbrück verschleppten Kindern erlebten nur sehr wenige die Befreiung. Nach Aussagen von weiblichen Häftlingen, die in verschiedenen Schreibstuben der Lagerverwaltung eingesetzt waren, lag die Gesamtzahl der Todesopfer zwischen 20 000 und 30 000. Tausende von Frauen, die durch Ravensbrück gegangen waren, verloren ihr Leben in anderen NS-Konzentrationslagern.