Jugend-KZ Moringen
Jugend-KZ Uckermark
Nachbetrachtung

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Zur Entstehung der Jugend-KZ
Reinhard Heydrich - der „Chef der Sicherheitspolizei und des SD“ - hatte im September 1939 erstmals spezielle Lager zur Internierung sog. „verwahrloster“ und unangepaßter Jugendlicher gefordert - die Ideen dazu waren im Reichskriminalpolizeiamt (RKPA) unter maßgeblicher Federführung des dortigen stellvertretenden Leiters Paul Werner entwickelt worden. In der Sitzung des Reichsverteidigungsrates vom 01.02.1940 - unter Görings Vorsitz und dem vorgegebenen Thema „Besprechung über Jugendbetreuung“ - in der die Situation der Jugend unter dem Einfluß des Krieges diskutiert, eine zunehmende „Verwilderung“ und ein Ansteigen der Jugendkriminalität für wahrscheinlich erachtet wurden - unterstützte und bekräftigte Heinrich Himmler - der „Reichsführer-SS“ - Heydrichs Forderung ausdrücklich. In der Folge dieser Sitzung beauftragte der Reichsverteidigungsrat das RKPA in Berlin, die sog. „Jugendschutzlager“ zu errichten. In einem monatelangen Kompetenzgerangel mit der Justiz, die zunächst eine schärfere Abgrenzung der für die Haft in Frage kommenden Jugendlichen anmahnte und zudem für ein eindeutiges Mitspracherecht bei ihrer Inhaftierung in diesen Lagern plädierte, setzte sich letztlich der Polizeiapparat durch. Ohne richterliche Anordnung, sondern durch bloße Verwaltungsanweisungen - die Runderlasse verschiedenster NS-Behörden - bzw. durch Schutzhaftbefehle der Gestapo wurden in der Folgezeit, d.h. bis zum Kriegsende, knapp 1400 Jungen im Lager Moringen und ca. 1200 Mädchen und junge Frauen im Lager Uckermark inhaftiert.
Die Motivation Himmlers, die Einrichtung der Jugend-KZ zu fordern und zu forcieren, resultierte offensichtlich aus seiner Meinung, daß „...die Einrichtungen der Fürsorgeerziehung nicht zum Ziele führen.“ Mit dieser Aussage leitete Himmler das vorläufige Ende einer langjährigen Debatte über die Erziehbarkeit oder vermeintliche „Unerziehbarkeit“ von Zöglingen innerhalb der staatlichen Ersatzerziehung ein. Mit dem Reichsjugendwohlfahrtsgesetz (RJWG) vom 05.07.1922 war erstmals eine reichseinheitliche Regelung dieser öffentlichen Erziehung getroffen worden. Der § 73 dieses Gesetzes sah die Schaffung einer sog. „Bewahrung“ für diejenigen Jugendlichen vor, die in den Erziehungsheimen auffällig wurden, Schwierigkeiten bereiteten und als „unerziehbar“ eingestuft wurden. Ein entsprechendes „Bewahrungsgesetz“ wurde aber weder in der Weimarer Republik noch im nationalsozialistischen Deutschland realisiert, obwohl es in den Kreisen der Fürsorgeverbände lebhaft diskutiert wurde. Die Forderungen nach der Aussonderung von sog. schwer- oder „unerziehbaren“ Jugendlichen aus der Fürsorgeerziehung und ihrer Überführung in „Bewahranstalten“, die keine erzieherische Einflußnahme, sondern die bloße Verwertung der Arbeitskraft sicherstellen sollten, scheiterten in der Weimarer Republik letztlich an einer fehlenden, eindeutigen Definition des Begriffes der „Verwahrlosung“ und des betroffenen Personenkreises sowie am ungeklärten Einweisungsverfahren und der ungesicherten Finanzierung. In den Diskussionen um dieses Gesetz waren zunehmend Worthülsen wie „Nörgler“, „geistig stark Unterwertige“ oder „Stimmungsgestörte“ bei der Beurteilung des Klientels in den Vordergrund getreten, zumal solche Fragestellungen in Wohlfahrtspflege und Jugendhilfe seit Jahrzehnten von Biologen, Fürsorgern und Medizinern entscheidend beeinflußt worden waren: Hin zur Idealisierung des „gesunden, edlen, leistungsfähigen“ Menschen, dem im sozialdarwinistischen Prinzip der „unedle, belastete und nicht leistungsfähige“ Mensch gegenüberstand. Vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Rezession und dem Abbröckeln des sozialen Sicherungsnetzes bei knappen staatlichen Kassen klafften zudem erhebliche Lücken zwischen den an sozialer Anpassung orientierten pädagogischen Maximen und den tatsächlichen Lebensumständen in den Erziehungsheimen. Vor diesem Hintergrund hatten die sozialdarwinistischen Einflüsse in den 20er und 30er Jahren innerhalb der Fürsorge zunehmend an Bedeutung gewonnen:
"Mit allem Nachdruck muß die baldige Verabschiedung eines Reichsbewahrungsgesetzes für asoziale Personen als Korrelat der Fürsorgeerziehung gefordert werden. Erst dann können die für die Fürsorgeerziehung als unerziehbar in Betracht kommenden Fälle asozialen Verhaltens einer in ihrem eigenen Interesse und im Interesse der Allgemeinheit notwendigen Bewahrung überwiesen werden. (...) Ohne das Bewahrungsgesetz treiben wir mit der ganzen Fürsorgeerziehung eine gefährliche Gegenauslese in rassenhygienischer Beziehung. Wir schädigen bewußt das kommende Geschlecht, wenn wir diese geistig minderwertigen, dem Verbrechertum, dem Betteln, der Landstreicherei oder Gewerbsunzucht mit absoluter Sicherheit anheimfallenden Elemente bis zum 21. Lebensjahr unter Aufwendung großer Mittel in glänzend eingerichteten Anstalten bewahren und behüten, um sie dann am Tage der Großjährigkeit ihrem Schicksal zu überlassen und ihnen die Möglichkeit geben, ihr grausam verzerrtes Erbbild in immer weiteren Individuen und Generationen wiederaufleben zu lassen." (Vossen, Die FE der über Achtzehnjährigen, Berlin 1925, S. 104)

Durch Notverordnungen zur Kostenersparnis der öffentlichen Haushalte kam es in den Wintermonaten der Jahre 1932/33 zu unzähligen Heimentlassungen Jugendlicher, die das 19. Lebensjahr vollendet hatten, ohne dass der Gesetzgeber alternative Unterstützungsmöglichkeiten in seine Überlegungen einbezogen hatte. Zahllose Mädchen und Jungen sahen sich ohne weitere Betreuung einer ungewissen Zukunft ausgeliefert. In Fürsorgekreisen verschärften sich zudem die Tendenzen, erzieherische Schwierigkeiten im Heimalltag den Betroffenen selbst anzulasten und dabei mit den Termini „Unerziehbarkeit“ und „minderwertige Erbanlagen“ zu operieren.

Im nationalsozialistischen Deutschland wurde das Bewahrungsgesetz v.a. auch in Fürsorgekreisen weiterhin gefordert. Auf Länderebene kam es zur Teilrealisierung durch eigene „Bewahranstalten“, so in Hamburg, Berlin, Baden und der Rheinprovinz. Die rechtlichen Bestimmungen zur Regelung der Fürsorgeerziehung blieben im Nationalsozialismus formal bestehen, erfuhren aber durch die Neuausrichtung nach dem Führerprinzip und dem nazistischen Staatsrassismus eine erhebliche Aushöhlung und Deformation. Die Ausgrenzung und Aussonderung von sog. „erblich Minderwertigen“ wurde vorangetrieben. Erbbiologische Praktiken traten immer mehr in den Mittelpunkt bei der Beurteilung jugendlicher Heiminsassen. Auf der Grundlage des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ vom 14.07.1933 kam es im Erziehungsalltag der Heime zu zahllosen Sterilisierungen Jugendlicher. Pädagogen und Erziehungswissenschaftler forderten verstärkt sog. Sonderbehandlungen für vermeintlich „erbgeschädigte“ und „rassefremde“ Heimbewohner oder diejenigen, die in der „Anstaltsgemeinschaft“ auffällig geworden waren. Nahezu zeitgleich mit der Einrichtung der Jugend-KZ kam es zu den Vorarbeiten zum „Gemeinschaftsfremdengesetz“, mit dem die KZ-Haft gesellschaftlicher Außenseiter - in Anlehnung an die Bewahrungsdebatten der 20er und 30er Jahre legitimiert werden sollte. Dieses Gesetz wurde zwar kriegsbedingt nicht mehr verwirklicht, doch bildeten gerade die Jugend-KZ für Polizei und SS willkommene Experimentierfelder im Rahmen dieser Vorarbeiten. Die in weiten Teilen widerstandslose Übernahme sozialrassistischer Programmatiken und die Aufspaltung des Klientels in „gemeinschaftsfähige“ und „gemeinschaftsfremde“ Personen führte zur zunehmenden Radikalisierung in weiten Teilen der deutschen Fürsorge, wobei zahlreiche ihrer Vertreter die Einrichtung der Jugendlager in Moringen und Uckermark als zweckmäßigen Ersatz für das seit langem geforderte Bewahrungsgesetz ansahen. Vollkommen eindeutig drückten sich dabei zum Beispiel die örtlichen Vertreter der NS-Volkswohlfahrt in Hamburg anläßlich einer Sitzung zu Jugendfragen vom 02.02.1940 aus, indem sie „...die Einrichtung der vom Reich vorgesehenen ... Konzentrationslager für Jugendliche...“ ausdrücklich empfahlen. Zur rechtlichen Scheinlegitimierung des Lagers gaben die unterschiedlichsten Ministerien zunächst allgemeine Runderlasse heraus, die die Haft der Jugendlichen formal regelten. Es waren zunächst die Jugend- und Landesjugendämter sowie die Kriminalpolizei, die vom Reichskriminalpolizeiamt ein Vorschlagsrecht zur Inhaftierung auffälliger Jugendlicher in den sog. „Jugendschutzlagern“ erhielten. In akribischen Anweisungen wurden die Jugendämter aufgefordert, sog. „asoziale“ und „kriminelle“ Mädchen und Jungen für eine entsprechende Haft vorzuschlagen und der Kreis der einweisungsberechtigten Behörden in den folgenden Jahren erheblich erweitert. Runderlasse mit äußerst unklaren und vielseitig interpretierbaren Formulierungen und Richtlinien liessen breiten Spielraum, mißliebiges Verhalten Jugendlicher zu ahnden, so daß bald neben Kriminalpolizei und Jugendämtern auch die Vormundschaftsrichter, die Gefängnisse, Justizstellen oder die jeweilige HJ-Gebietsführung die Haft im Jugend-KZ formal beantragen konnten. Vor allem Erziehungsheime und Jugendämter machten in der Folge - wenn auch regional sehr unterschiedlich - recht regen Gebrauch von den Haftanträgen, um sich auffälliger und mißliebiger Jugendlicher entledigen zu können. Nach einem Bericht des stellvertretenden Leiters des RKPA, Paul Werner, aus dem Jahr 1944 lebten von den ersten 1.000 Häftlingen über 50 % vor ihrer Haft in Moringen in Fürsorgeerziehungsanstalten, 716 Jungen waren wegen einfacher Eigentumsdelikte vorbestraft. Für das Lager Uckermark wurden von der Lagerleiterin Toberentz im Jahr 1945 ähnliche Zahlen genannt.

In den vorliegenden Anträgen auf Unterbringung in den Jugendlagern fällt besonders die Reduzierung der darin getroffenen Aussagen auf negativ besetzte Verhaltensweisen oder Eigenschaften der Betroffenen auf. Dabei wurde häufig die Auflistung von Verfehlungen und vermeintlichen Charakterschwächen für die Argumentationskette geschickt benutzt, um über diesen Weg der Stigmatisierung und Kriminalisierung die jeweils „notwendige“ Unterbringung im Jugend-KZ dringlich und revisionssicher zu untermauern. Kennzeichnend sind die Verwendung von dehnbaren Worthülsen bei der Verhaltensbeschreibung und die kategorische Abstempelung der Jugendlichen zu „Arbeitsscheuen“, „geborenen Verbrechern“ und „Volksschädlingen“. Die Einweisungsgründe verweisen eher auf erzieherische Bankrotterklärungen bei der Beurteilung der sog. „Zöglinge“. So regte ein Mitarbeiter des Landesjugendamtes Kattowitz in seinem Antrag vom 18.07.1944 zum Beispiel an, die „pubertätskritische Trotzhaltung“ des betreffenden Jungen mit den Mitteln der Jugend-KZ-Haft „zu brechen“.

Zwangsläufig waren von der Haft im Jugend-KZ vor allem solche Jugendliche betroffen, die sich unter dem Einfluß des Krieges der zunehmenden Reglementierung sämtlicher Lebensbereiche zu entziehen versuchten und mit den Norm- und Wertvorstellungen des NS-Staates in Konflikt gerieten. Vor allem die Fälle der zunehmenden „Arbeitsverweigerung“ („Blaumachen“), des „Umherstreunens“, der Diebstähle und eines freizügigeren Sexuallebens gelangten als „volksschädigendes Verhalten“ in das Blickfeld von Polizei und SS. Dabei ist festzuhalten, dass unter dem Einfluß der Kriegsgeschehnisse und der damit einhergehenden Militarisierung des gesamten Lebens- und Arbeitsumfeldes die normative Bestimmung der Begriffe „Asozialität“ und „Kriminalität“ erheblich ausgedehnt wurde, je mehr die staatliche Autorität auch durch sogenannte „innere Feinde“ angreifbar erschien. Beklagte die deutsche Justiz zunächst noch den rein polizeilichen Charakter der Haft und die fehlende Einbindung ihrer Instanzen, so reagierten SS und Polizei mit taktischen Zugeständnissen, wie z.B. mit einem Anhörungsrecht für die Vormundschaftsrichter. Letztlich hatten Polizei und SS mit der Einrichtung der Jugend-KZ einen weiteren partiellen Erfolg im Macht- und Kompetenzgerangel der verschiedenen NS-Instanzen erzielt.