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Zur
Entstehung der Jugend-KZ Durch Notverordnungen zur Kostenersparnis der öffentlichen Haushalte kam es in den Wintermonaten der Jahre 1932/33 zu unzähligen Heimentlassungen Jugendlicher, die das 19. Lebensjahr vollendet hatten, ohne dass der Gesetzgeber alternative Unterstützungsmöglichkeiten in seine Überlegungen einbezogen hatte. Zahllose Mädchen und Jungen sahen sich ohne weitere Betreuung einer ungewissen Zukunft ausgeliefert. In Fürsorgekreisen verschärften sich zudem die Tendenzen, erzieherische Schwierigkeiten im Heimalltag den Betroffenen selbst anzulasten und dabei mit den Termini „Unerziehbarkeit“ und „minderwertige Erbanlagen“ zu operieren. Im nationalsozialistischen Deutschland wurde das Bewahrungsgesetz v.a. auch in Fürsorgekreisen weiterhin gefordert. Auf Länderebene kam es zur Teilrealisierung durch eigene „Bewahranstalten“, so in Hamburg, Berlin, Baden und der Rheinprovinz. Die rechtlichen Bestimmungen zur Regelung der Fürsorgeerziehung blieben im Nationalsozialismus formal bestehen, erfuhren aber durch die Neuausrichtung nach dem Führerprinzip und dem nazistischen Staatsrassismus eine erhebliche Aushöhlung und Deformation. Die Ausgrenzung und Aussonderung von sog. „erblich Minderwertigen“ wurde vorangetrieben. Erbbiologische Praktiken traten immer mehr in den Mittelpunkt bei der Beurteilung jugendlicher Heiminsassen. Auf der Grundlage des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ vom 14.07.1933 kam es im Erziehungsalltag der Heime zu zahllosen Sterilisierungen Jugendlicher. Pädagogen und Erziehungswissenschaftler forderten verstärkt sog. Sonderbehandlungen für vermeintlich „erbgeschädigte“ und „rassefremde“ Heimbewohner oder diejenigen, die in der „Anstaltsgemeinschaft“ auffällig geworden waren. Nahezu zeitgleich mit der Einrichtung der Jugend-KZ kam es zu den Vorarbeiten zum „Gemeinschaftsfremdengesetz“, mit dem die KZ-Haft gesellschaftlicher Außenseiter - in Anlehnung an die Bewahrungsdebatten der 20er und 30er Jahre legitimiert werden sollte. Dieses Gesetz wurde zwar kriegsbedingt nicht mehr verwirklicht, doch bildeten gerade die Jugend-KZ für Polizei und SS willkommene Experimentierfelder im Rahmen dieser Vorarbeiten. Die in weiten Teilen widerstandslose Übernahme sozialrassistischer Programmatiken und die Aufspaltung des Klientels in „gemeinschaftsfähige“ und „gemeinschaftsfremde“ Personen führte zur zunehmenden Radikalisierung in weiten Teilen der deutschen Fürsorge, wobei zahlreiche ihrer Vertreter die Einrichtung der Jugendlager in Moringen und Uckermark als zweckmäßigen Ersatz für das seit langem geforderte Bewahrungsgesetz ansahen. Vollkommen eindeutig drückten sich dabei zum Beispiel die örtlichen Vertreter der NS-Volkswohlfahrt in Hamburg anläßlich einer Sitzung zu Jugendfragen vom 02.02.1940 aus, indem sie „...die Einrichtung der vom Reich vorgesehenen ... Konzentrationslager für Jugendliche...“ ausdrücklich empfahlen. Zur rechtlichen Scheinlegitimierung des Lagers gaben die unterschiedlichsten Ministerien zunächst allgemeine Runderlasse heraus, die die Haft der Jugendlichen formal regelten. Es waren zunächst die Jugend- und Landesjugendämter sowie die Kriminalpolizei, die vom Reichskriminalpolizeiamt ein Vorschlagsrecht zur Inhaftierung auffälliger Jugendlicher in den sog. „Jugendschutzlagern“ erhielten. In akribischen Anweisungen wurden die Jugendämter aufgefordert, sog. „asoziale“ und „kriminelle“ Mädchen und Jungen für eine entsprechende Haft vorzuschlagen und der Kreis der einweisungsberechtigten Behörden in den folgenden Jahren erheblich erweitert. Runderlasse mit äußerst unklaren und vielseitig interpretierbaren Formulierungen und Richtlinien liessen breiten Spielraum, mißliebiges Verhalten Jugendlicher zu ahnden, so daß bald neben Kriminalpolizei und Jugendämtern auch die Vormundschaftsrichter, die Gefängnisse, Justizstellen oder die jeweilige HJ-Gebietsführung die Haft im Jugend-KZ formal beantragen konnten. Vor allem Erziehungsheime und Jugendämter machten in der Folge - wenn auch regional sehr unterschiedlich - recht regen Gebrauch von den Haftanträgen, um sich auffälliger und mißliebiger Jugendlicher entledigen zu können. Nach einem Bericht des stellvertretenden Leiters des RKPA, Paul Werner, aus dem Jahr 1944 lebten von den ersten 1.000 Häftlingen über 50 % vor ihrer Haft in Moringen in Fürsorgeerziehungsanstalten, 716 Jungen waren wegen einfacher Eigentumsdelikte vorbestraft. Für das Lager Uckermark wurden von der Lagerleiterin Toberentz im Jahr 1945 ähnliche Zahlen genannt. In den vorliegenden Anträgen auf Unterbringung in den Jugendlagern fällt besonders die Reduzierung der darin getroffenen Aussagen auf negativ besetzte Verhaltensweisen oder Eigenschaften der Betroffenen auf. Dabei wurde häufig die Auflistung von Verfehlungen und vermeintlichen Charakterschwächen für die Argumentationskette geschickt benutzt, um über diesen Weg der Stigmatisierung und Kriminalisierung die jeweils „notwendige“ Unterbringung im Jugend-KZ dringlich und revisionssicher zu untermauern. Kennzeichnend sind die Verwendung von dehnbaren Worthülsen bei der Verhaltensbeschreibung und die kategorische Abstempelung der Jugendlichen zu „Arbeitsscheuen“, „geborenen Verbrechern“ und „Volksschädlingen“. Die Einweisungsgründe verweisen eher auf erzieherische Bankrotterklärungen bei der Beurteilung der sog. „Zöglinge“. So regte ein Mitarbeiter des Landesjugendamtes Kattowitz in seinem Antrag vom 18.07.1944 zum Beispiel an, die „pubertätskritische Trotzhaltung“ des betreffenden Jungen mit den Mitteln der Jugend-KZ-Haft „zu brechen“. Zwangsläufig
waren von der Haft im Jugend-KZ vor allem solche Jugendliche betroffen,
die sich unter dem Einfluß des Krieges der zunehmenden Reglementierung
sämtlicher Lebensbereiche zu entziehen versuchten und mit den Norm- und
Wertvorstellungen des NS-Staates in Konflikt gerieten. Vor allem die Fälle
der zunehmenden „Arbeitsverweigerung“ („Blaumachen“), des „Umherstreunens“,
der Diebstähle und eines freizügigeren Sexuallebens gelangten als „volksschädigendes
Verhalten“ in das Blickfeld von Polizei und SS. Dabei ist festzuhalten,
dass unter dem Einfluß der Kriegsgeschehnisse und der damit einhergehenden
Militarisierung des gesamten Lebens- und Arbeitsumfeldes die normative
Bestimmung der Begriffe „Asozialität“ und „Kriminalität“ erheblich ausgedehnt
wurde, je mehr die staatliche Autorität auch durch sogenannte „innere
Feinde“ angreifbar erschien. Beklagte die deutsche Justiz zunächst noch
den rein polizeilichen Charakter der Haft und die fehlende Einbindung
ihrer Instanzen, so reagierten SS und Polizei mit taktischen Zugeständnissen,
wie z.B. mit einem Anhörungsrecht für die Vormundschaftsrichter. Letztlich
hatten Polizei und SS mit der Einrichtung der Jugend-KZ einen weiteren
partiellen Erfolg im Macht- und Kompetenzgerangel der verschiedenen NS-Instanzen
erzielt.
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